Der Geheimdienst ist nicht das Finanzamt!
Ich habe mein Leben lang Steuern gezahlt und mich immer gefreut, wenn das Geld für Kindergärten statt Kriegseinsätze ausgegeben wurde. Das Finanzamt kann man mögen oder auch hassen. Mir ist jedoch wichtig, dass es seine Aufgaben nach Recht und Gesetz wahrnimmt. So soll es zum Beispiel darüber befinden, ob ein Verein weniger Steuern zahlen kann, wenn er gemeinnützige Arbeit leistet und somit als gemeinnützig anerkannt ist. Wer denn auch sonst?
Nun gibt es im Jahressteuergesetz eine Klausel, den §51/3, die besagt, dass ein Verein dann nicht mehr gemeinnützig ist, wenn er im Bericht des Geheimdienstes "VS" genannt wird. Und das will die Bundesregierung gerade verschärfen, so dass dies automatisch geschieht. Egal ob später ein Gericht entscheidet, dass die Vorwürfe des Geheimdienstes wieder einmal falsch waren. Wie unseriös und populistisch die Damen und Herren vom Brandenburger "Verfassungsschutz" arbeiten, haben meine Enkel leider oft genug erfahren müssen. Deshalb muss diese Regelung weg. Der Geheimdienst "Verfassungsschutz" ist nämlich nicht das Finanzamt. Aber lest selbst:
Ministerpräsident Matthias Platzeck
Stellv. Ministerpräsident und Finanzminister Helmuth Markov
Heinrich-Mann-Allee 107
14473 Potsdam
Potsdam, 19. Juli 2012
Offener Brief von Trägern der Jugend- und Bildungsarbeit
im Demokratischen JugendFORUM Brandenburg e.V.
Der Verfassungsschutz ist nicht das Finanzamt – Das Land Brandenburg darf keine Änderung des §51 Abs. 3 AO des Jahressteuergesetzes zulassen.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Matthias Platzeck,
sehr geehrter Herr Minister Helmuth Markov,
wir, das Demokratische JugendFORUM Brandenburg e.V., als ein Netzwerk von Trägern der Jugendkultur, -sozial und -bildungsarbeit sind wie viele Vereine in der Bundesrepublik in großer Sorge. Die Bundesregierung hat vor, eine Änderung im Jahressteuergesetz § 51 Abs. 3 AO zu beschließen. Auf der Bundestagssitzung am 28. Juni 2012 ist der Gesetzesentwurf vorläufig in die Ausschüsse verwiesen worden.
Der Vorschlag der Bundesregierung erhebt die jährlichen Berichte der Landesämter für Verfassungsschutz, so auch die Berichte der Abteilung V im Brandenburger Innenministerium, faktisch in den Rang von finanzpolitischen Grundlagenbescheiden.
Bislang gilt für Körperschaften, die in einem Verfassungsschutzbericht als sogenannte extremistische Organisation erwähnt werden, die Klausel, dass sie damit ihre Berechtigung zur Steuerbegünstigung verlieren. Die von den Behörden jeweils geäußerten Vermutungen sind allerdings „widerlegbar“ und ermöglichen es daher den betroffenen Organisationen, juristisch gegen in den Berichten aufgestellte Behauptungen vorzugehen. Den Organisationen steht damit ein Rechtsweg offen; zudem verbleibt dem zuständigen Finanzamt ein Entscheidungsspielraum. Mit der Neuregelung im Jahressteuergesetz ist nun vorgesehen, diese Widerlegbarkeitsklausel abzuschaffen und einen Automatismus zu installieren. Das heißt, wenn eine Organisation in einem Verfassungsschutzbericht Erwähnung findet, soll hieraus zwingend die Versagung der Steuerbefreiung folgen. Ein finanzgerichtlich zu prüfendes Widerspruchsrecht der Betroffenen und eine gerichtliche Prüfung der Vorwürfe entfallen dadurch ersatzlos. Ebenso wird der Entscheidungsfreiraum der Finanzämter abgeschafft.
Der Vorgang ist Ihnen sicherlich bekannt.
Der Brandenburger Verfassungsschutz musste bereits in den vergangenen Jahren und bis heute seine Berichte mehrfach korrigieren. Betroffene hatten von ihrem Recht Gebrauch gemacht und die in den Berichten enthaltenen Nennungen und Deutungen von politisch-gesellschaftlichen Aktivitäten gerichtlich überprüfen lassen. Die Arbeit des Verfassungsschutzes wurde in mehreren Fällen gerichtlich als tendenziös und sachlich falsch bewertet. Bereits unter den jetzt geltenden Bedingungen war es für die Betroffenen mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden, falsche Angaben richtig zu stellen. Zudem sahen sie sich stets mit dem Stigma eines diffusen „Extremismus“-Vorwurfs konfrontiert.
Wir möchten exemplarisch auf einen Fall hinweisen: Die Richter am Potsdamer Verwaltungsgericht stellten fest, dass der Brandenburger Verfassungsschutz im Fall des Jugendwohnprojektes Mittendrin e.V. ungenau recherchiert hatte. Die Richter stellten weiter fest, dass die tendenziöse Art und Weise, in der über den Verein berichtet wurde, letztlich dazu diente, die Arbeit des Vereins zu diffamieren. 2010 erfolgte die gerichtlich angeordnete Löschung des Eintrags.
Im Jahresbericht 2011 wurde der Verein wiederholt diffamiert. Noch vor einer Unterlassungsklage durch die Betroffenen hat sich das Innenministerium beim Verein entschuldigt und ebenso die Löschung der Passage vorgenommen.
Sehr geehrter Herr Platzeck, sehr geehrter Herr Markov,
wir wenden uns mit folgenden Fragen an Sie: Wollen Sie es in Brandenburg zulassen, dass ausgerechnet ein Inlandsgeheimdienst beurteilen darf, welche Vereine in unserem Gemeinwesen als gemeinnützig und daher als steuerlich zu begünstigen anzusehen sind? Zeigt nicht der oben exemplarisch skizzierte Fall bereits alle damit verbundenen Gefahren für unser Gemeinwesen auf?
Was qualifiziert nach Ihrer Auffassung die Abteilung V im Brandenburger Innenministerium zu einer solchen Bewertung? Wäre nicht statt einer Verschärfung der Regelung, die zudem abschließend einen Rechtsweg für die Betroffenen verbaut, die Streichung dieser Aufgabe für die Landesämter für Verfassungsschutz angezeigt?
Werden Sie sich mit uns gemeinsam für die Streichung einsetzen? Werden Sie zumindest dafür Sorge tragen, dass die Neufassung des Paragraphen im Steuergesetzentwurf nicht zum Tragen kommt?
Mit Entsetzen blicken wir auf den Zustand des Inlandsgeheimdienstes insgesamt. Durch die Selbstenttarnung einer Neonaziterrorgruppe ist deutlich geworden, wie intransparent und der demokratischen Kontrolle entzogen diese Behörde arbeitet. Hinweise auf die Verstrickungen in die rassistische Mordserie sind offensichtlich, und gleichzeitig verhindern Verfassungsschutz-Beamte durch Aktenvernichtung sogar eine Aufklärung. Politikerinnen und Politiker aller Parteien sind tief besorgt über den Zustand der Inlandsgeheimdienste und ihre Möglichkeiten, deren Arbeit im Sinne eines demokratischen Gemeinwesens zu kontrollieren. Niemand mag gegenwärtig irgendetwas völlig ausschließen...
Wir wissen, unsere Worte sind hart gewählt. Es darf unseres Erachtens jedoch nie wieder in der deutschen Geschichte möglich sein, dass eine in ihrem Wesen zwangsläufig intransparente Organisation wie ein Geheimdienst, dessen Arbeitsweise der demokratischen Kontrolle entzogen ist und dessen ideologische Ausrichtung keiner breiten meinungsbildenden demokratischen Diskussion unterliegt, das Recht bekommt, mehr sein zu dürfen als ein reiner Beobachter zivilgesellschaftlichen Engagements.
Wir bitten Sie auf das Verfahren zum Jahressteuergesetz einzuwirken und eine Änderung des § 51 Abs. 3 AO, wie von der Bundesregierung geplant, zu verhindern. Wir bitten Sie weiter, mit uns und anderen gesellschaftlichen Akteuren in einen Dialog zu treten mit dem erklärten Ziel, den Inlandsgeheimdiensten eine Rolle zuzuweisen, die unser demokratisches Gemeinwesen stärkt und nicht schwächt oder gar gefährdet.
Der Brandenburger Verfassungsschutz ist weder das Finanzamt noch ein Experte für zivilgesellschaftliches Wirken. Demokratie ist Sache der Brandenburger Bürgerinnen und Bürger und nicht die des Geheimdienstes.
Mit freundlichen Grüßen
Der Vorstand des DJB e.V.
Christoph Löffler; Daniela Guse; Juliane Lang; Sören Köhler